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Interview mit ANANA KAYE & IRAKLI GABRIEL (02.04.2021)

ANANA KAYE & IRAKLI GABRIEL

Der 18.01.2021 war ein trauriger Tag für alle Freunde klassischer Songwriter, denn da entschlief der legendäre David Olney – mitten im dritten Song eines Konzertes, das er im Rahmen eines Songwriter-Festivals in Santa Rosa Beach, Florida spielte – im Alter von 71 Jahren an einem Herzinfarkt. Olney gehörte noch zur alten Singer/Songwriter-Garde und wurde insbesondere von vielen seiner Kollegen – Steve Earle, Townes Van Zandt, Eric Anderson oder Mary Gauthier – als einer der ganz großen seines Metiers gelobt und bestätigt.

Was zum Zeitpunkt des Todes von David Olney niemand wusste, war, dass er gerade an einem neuen Album namens „Whispers & Sighs“ gearbeitet hatte, welches er in Zusammenarbeit mit den mehrere Generationen jüngeren, aus Georgien in die USA eingewanderten Songwriter-Kollegen Anana Kaye und Irakli Gabriel geschrieben und eingespielt hatte. Tatsächlich war Irakli gerade mit der Post-Produktion des Albums fertig geworden, als ihn die Nachricht vom Tode Olneys erreichte. Nun ist das Album „Whispers & Sighs“ also posthum erschienen – und geriet auf diese Weise unfreiwillig auch zu einer Art musikalischem Erbe. Und dieses ist insofern ein recht bemerkenswertes Erbe, denn es ist keineswegs ein David-Olney-Album mit Gästen geworden, sondern eine intensive songwriterische und performerische Zusammenarbeit zwischen Olney, Anana Kaye, Irakli Gabriel (und auch Olneys langjährigem Songwriting-Partner John Hadley). Letztlich verweben darin Anana und Irakli die dramatische Geschichte ihrer Zeit in Georgien und der Einwanderung in die USA sowie Olneys fast schon bibliothekarisches Wissen über Geschichte, Philosophie und Mystik und seine Erfahrungen als Songwriter und die musikalischen Visionen aller Beteiligten zu einem faszinierendem musikalischen Mikrokosmos, der in der Summe mehr als die einzelnen Teile eines gewöhnlichen, autobiographisch geprägten Songwriter-Albums ausmacht. Grund genug also, sich mit Anana Kaye und Irakli Gabriel ausführlich zu unterhalten.


Wie kam es zu der keineswegs auf der Hand liegenden Zusammenarbeit mit dem immerhin zwei Generationen älteren Songwriter-Statesman David Olney?

Irakli: Nun, wir sind 2017 von NYC nach Nashville gezogen und haben uns in East Nashville niedergelassen – wo wir kaum jemanden kannten. Außerdem war die einzige Bar in fußläufiger Entfernung das 'Vinyl Tap'. Dort sind wir dann abends oft hingegangen, um Leute kennenzulernen, ein paar Drinks zu nehmen und Musik zu hören. Eines Abends spielte David Olney dort ein kurzes Set. Wir wussten damals gar nicht, dass es David war – waren aber sogleich sehr von seinen Songs, seiner Präsenz und seiner Energie eingenommen. Er war definitive eine verwandte Seele und seine Songs waren wirklich herausragend. Wir haben uns ihm also vorgestellt und uns mit ihm unterhalten. Als wir ihm erzählten, dass wir hauptberuflich neben der Musik auch Videos machten, war er sehr interessiert, weil er gerade eine neue Scheibe („Don't Try To Fight It“) herausgebracht hatte und Videos dazu machen wollte. Also haben wir zunächst gemeinsam an Videos gearbeitet – was viel Spaß gemacht hat, eine schöne Erfahrung war und dazu führte, dass wir gute Freunde wurden, weil wir einen ähnlichen Geschmack haben und uns dieselben Einflüsse prägten.

Welche Einflüsse waren das denn für euch?

Irakli: Eines der ersten Alben, die ich als Junge besaß, war das 'Weiße Album' der Beatles. 'Blackbird' und 'Julia' waren dabei genauso interessant und unglaublich für mich wie 'Helter Skelter', 'Yer Blues', 'While My Guitar Gently Weeps', 'Revolution' und 'Don't Pass Me By'. Ich wurde also gleichzeitig mit vielen musikalischen Stilen und Ideen konfrontiert, die ich dann in jeder Richtung auslotete.

Anana: Ich bin in keiner besonders künstlerischen Familie aufgewachsen, aber meine Mutter hatte eine große Vorliebe für Georgische Volksmusik. Also denke ich, dass mir daher dieser Sinn für Vielstimmigkeit und Harmonie innewohnt. Meine Mutter hat mich auch in der Klavierschule eingeschrieben, in der ich das Spielen am Flügel erlernte. Obwohl ich die Schule nicht besonders mochte, war meine Klavierlehrerin, Bella Machavariani, etwas wie aus einem Märchen – mit pechschwarzen Haaren, die fast bis zu ihren Knöcheln reichten und den längsten Fingernägeln, die ich je gesehen habe. Sie hat dafür gesorgt, dass ich mich in das Klavier verliebte, obwohl ich das erst später realisierte.

Und das hat dann gleich zum Songwriting geführt?

Anana: Nein – ich habe als Kind nie davon geträumt, einmal selber Songs zu schreiben, wenn ich älter würde: Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich das Konzept des Lieder-Schreibens verstanden hatte, bis ich später Dylan und Bowie entdeckte und mich in die Britische und Amerikanische Musik verliebte. Ich habe erst dann eine Gitarre genommen und mit meiner Freundin Keti lauthals auf den Straßen von Tiflis herumgegrölt.

Irakli, wann hast Du Dich denn entschlossen, es mit der Musik als Beruf zu versuchen?

Irakli: Ich sage immer, dass die Musik Dich aussucht – und nicht umgekehrt. Es ist nämlich keine gute Idee, professionell als Musiker zu arbeiten, wenn man Stabilität und ein „nettes“ Leben möchte. Es ist eher eine Berufung als ein Beruf. Ich habe sogar eine ganze Zeit lang versucht, mich dagegen zu wehren. Aber die Musik hat gewonnen. Ich habe den ganzen Tag in meinem Job damit verbracht über Musik, Akkorde und Texte nachzudenken – und habe deswegen nichts fertig bekommen; und zwar weder in meinem Job, noch die Musik betreffend. Denn als ich abends das Büro verließ, war ich mental, physisch und emotional ausgelaugt.

Und wann habt ihr begonnen, zusammen mit David Olney Songs zu schreiben?

Irakli: Eines Tages haben wir ein Konzert gegeben und David eingeladen, vorbeizukommen. Ihm gefielen unsere Songs und er schlug vor, etwas zusammen zu machen und zu schauen, was daraus werden könnte.

 

Die erste gemeinsame Songwriting-Session lief dann auch entsprechend gut, oder?

Irakli: Ja, wir haben uns in seinem Haus getroffen, um ein paar Ideen zu diskutieren. Es funktionierte sehr gut. Wir haben gleich 2-3 Songs zusammen geschrieben. Danach war das ein ganz natürlicher Prozess. Wir haben uns regelmäßig mit David getroffen – aber weniger wie in einer typischen 'Nashville-Session', sondern mehr so, um uns zu unterhalten, Ideen, Gefühle und Gedanken auszutauschen – was schließlich zu einem Song führen würde.

Die Frage die sich dann aufdrängt ist die, worüber Ihr dann Songs geschrieben habt – denn gemeinsame Erfahrungen hattet ihr ja zu diesem Zeitpunkt kaum, oder?

Anana: Das hat sich wieselbstverständlich entwickelt. Wir haben uns über das Leben unterhalten und Dinge, die uns interessieren – Musik, Film, Kunst, gemeinsame persönliche Geschichten. Daraus sind dann die Songs entstanden.

Ein Thema waren ja auch sicherlich eure Erfahrungen bezüglich eurer Lebensreise von Georgien bis in die USA?

Irakli: Ja, das sind Themen, die für Anana und mich sehr persönlich sind. Und David war ja sehr belesen und kannte sich mit der Geschichte verschiedener Länder aus. Tatsächlich kam er eines Tages mit einem Buch über die Geschichte Georgiens und befragte uns zu diesem Thema.

David Olney ist ja auch bekannt für seine Geschichten über tatsächliche historische Charaktere, Lokalitäten und Geschehnisse, die er dann in seinen Songs mit viel Phantasie zum Leben erweckt.

Irakli: Ja, als Songwriter war er ein wahrer 'Meister der Perspektive', wie Mary Gauthier ihn ein Mal genannt hatte. Ich meine: Er hat Songs über den Untergang der Titanic aus der Sicht des Eisberges geschrieben oder 'Bray' über den Esel, der Jesus (am Palmsonntag nach Jerusalem) getragen hat. Als Mensch war er voller Empathie – auf jeden Fall für uns – und konnte unsere Geschichte nachvollziehen und mitfühlen. Natürlich hatte er das sein ganzes Leben lang so gemacht und Songs wie '1917' über den ersten Weltkrieg waren für ihn genauso natürlich.

Wie habt ihr denn musikalisch zusammengefunden? Immerhin kommt ihr ja aus musikalisch unterschiedlichen Kulturkreisen.

Irakli: David ist natürlich als 'Americana-Pionier' bekannt. Aber viele seiner Akkordfolgen, die moll-lastigen Melodien und die verminderten Akkorde – das sind eher Einflüsse aus der alten Welt, der Klassik und sogar dem Gypsy Jazz. Ich arbeite genauso. Von frühester Jugend an hörte ich alle Arten von Musik – Folklore aus unserer Gegend, Gypsy- und jüdische Musik, klassische europäische Musik, Jazz, Blues, Country und natürlich Rock'n'Roll. Sowas mochte David auch. Wir haben uns über Lou Reed, David Bowie, die Stones oder Kate Bush unterhalten. Das kam dann alles auf unserer Scheibe zusammen – all diese Einflüsse aus Musik, Kultur und Geschichte.

Ein interessanter musikalischer Aspekt des Albums ist der Unterschied zwischen David Olneys gelassener Altherrenstimme und dm klagenden Folk-Timbre von Anana – das aber so gar nichts vom typischen Nashville Schmalz vieler Deiner lokalen Kolleginnen hat. Wie siehst Du Dich selbst als Sängerin, Anana?

Anana: Ha! Danke dafür! Ich hörte mir als Kind eine Menge Georgischer Volksmusik an – und dann verliebte ich mich in die Rockmusik. Janis Joplin war meine Heldin. Dann kamen Bowie und Dylan. Schließlich liebte ich jenen Gesangsstil, bei dem es einzig um das Geschichtenerzählen geht. Ich mag auch Bryan Ferry, Scott Walker und Kate Bush – aber auch Davids Stimme, denn er hatte einen so bestimmten Unterton, wenn es notwendig war und so viel Lieblichkeit, wenn es darum ging, herzergreifende Balladen zu singen. Nachdem ich das gesagt habe, muss ich einräumen, dass ich nicht wirklich weiß, was passiert, wenn ich selber singe. Ich glaube, es ist gar kein besonders bewusster Prozess für mich. Meine Absicht ist jedenfalls stets, die Geschichte zu erzählen und den Song so gut ich kann zu vermitteln.

David Olney – so scheint es zumindest – war also einer jener Musiker, die in der Zusammenarbeit mit anderen erst so richtig aufging – egal, wer das sein mochte. Ist diese Vermutung richtig?

Anana: Ja, das erste Mal, als er uns eine musikalische Idee vorlegte und darum bat, uns einen Text dafür einfallen zu lassen, hatte ich richtig Angst. Ich meine – da war David Olney, der Herr der Worte – und bat uns, einen Text zu machen? 'Thank You Note' war dann der erste Song, den wir gemeinsam schrieben. Irakli hatte die Musik, David hatte uns einen Zettel mit dem Text gegeben. Dann haben Irakli und ich uns die Bridge einfallen lassen und sie ihm vorgespielt. Ich war so schüchtern, ihm unseren Text vorzusingen – aber dann erhellte sich sein Gesicht fast so, als plane er etwas, als ich die Zeile sang 'I've Survived A Plague In The 15th Century'. Da wusste ich, dass wir zusammen eine andere Welt betreten würden. Wir haben danach nicht mehr aufgehört, zusammen zu schreiben. 

Letzte Frage: Was ist denn der Plan für eure Projekte nach der Pandemie?

Irakli: Da fällt mir ein alter Witz ein: Wie kannst Du Gott zum Lachen bringen? Indem Du ihm Deine Pläne verrätst! Wir haben jede Menge Songs, die wir noch aufnehmen müssen – wovon einige tatsächlich noch mit David geschrieben worden sind. Die sollten eigentlich auf unserem nächsten gemeinsamen Album erscheinen – denn er wollte unsere Zusammenarbeit genauso fortsetzen wie wir auch. Natürlich vermissen wir es auch, live auftreten zu können – also richtig, mit Publikum, live auf der Bühne. Uns fällt es schwer, Live-Streams aufzunehmen, denn es fühlt sich einfach nicht richtig an, vor einem I-Phone oder einer Kamera aufzutreten. Wir haben auch gut mit Video-Projekten zu tun und würden auch sehr gerne weitere Videos für 'Whispers & Sighs'-Songs machen. Auch gibt es einige Anfragen von anderen Musikern und wir sind dankbar dafür. Also haben wir viel zu tun!

 https://www.ananakaye.com/

https://ananakaye.bandcamp.com/music

https://www.facebook.com/AnanaKaye

https://www.facebook.com/davidolney

PS – Hinweis zu den Fotos: Die Fotos wurden mit freundlicher Genehmigung von den beiden Musikern sowie von Mary Ellen Matthews, John Partipilo, Brett Ryan Stewart, Veronica Sanchez und Kristin Indorato verwendet!

Ullrich Maurer (Info)